Langer Kampf gegen Einsturzgefahr

Das Technische Hilfswerk hat in Mannheim bei einem zum Abriss freigegebenen Haus der MVV eine Großübung abgehalten. Impressionen des Einsatzes

Arbeiten mit dem Trennschleifer

Funken sprühen, dazu ein grell-kreischendes Geräusch. Aber es dauert nicht lange. Dann steht Geschichts-Student Christian Dudziak - Helm, Schutzbrille, dicke Lederschürze über der Einsatzkleidung - zufrieden auf. „Die ist offen“, sagt er knapp. Nach nur zwei schnellen Schnitten lässt sich eine schwere Metallplatte anheben. So hat er einen Notzugang geschaffen zu einem Gebäude am Anemonenweg in der Gartenstadt - Auftakt einer Großübung des Technischen Hilfswerks (THW).

Der Boden des Erdgeschosses ist teilweise abgesackt, eine unbekannte Zahl von Personen im Keller von Trümmerteilen begraben - so das Szenario. Tatsächlich handelt es sich um die frühere Hochspannungs-Schaltanlage Gartenstadt der MVV Energie AG. Die langen Reihen von Schaltschränken auf zwei Stockwerken wirken aus der Zeit gefallen, man sieht viele Spinnenweben. Die moderne Elektronik braucht viel weniger Platz. Daher ist das rund 1700 Quadratmeter große Areal verkauft worden. Der Projektentwickler Bonova wird hier Wohnungen und einen Laden errichten - hat vor dem Abbruch aber das THW eingeladen.

Funk als Problem

Dafür ist das THW „sehr dankbar“, wie Zugtruppführer Benjamin Wenker betont. „Als rein ehrenamtliche Organisation sind wir darauf angewiesen, solche Szenarien zu üben und den Helfern die Möglichkeit zu geben, das schwere Gerät auch mal in der Praxis einzusetzen“, sagt er. Eigentlich Chemielaborant in der Forschung der BASF, muss er jetzt schnelle Entscheidungen treffen, die Lage erkunden, Kräfte ordern.

Durch die von Christian Dudziak per Trennschleifer geschaffene Öffnung wird Sascha Zimmermann, an Gurten und per Seil gesichert, hinabgelassen. Er erkundet, wie es in dem - vermeintlich - eingestürzten Gebäudeteil aussieht, wie viele Menschen in Gefahr und wie sie zu retten sind. Da taucht das erste Problem auf: der Digitalfunk. „Die Reichweite ist gut, aber in alten Gebäuden mit dicken Wänden kann es schwer werden“, erklärt Wenker. „Wir brauchen Repeater“, weist er an - sprich ein Koffergerät oder ein Helfer, die im Gebäude zur Verstärkung der Funksignale platziert werden.

Und er braucht noch viel mehr: Erste und zweite Bergungsgruppe, die Fachgruppen Räumen und Beleuchtung alarmiert Wenker nun nacheinander. Geführt wird von einem speziell ausgebauten Mannschaftstransportwagen aus. Auf Magnettafeln zeigen Magnet-Symbole und Lagekarte jedem, welche Kräfte nach und nach wo zum Einsatz kommen. Auch ein Laptop hilft - vom Helferverein aus Spendenmitteln, nicht aus Steuergeldern abgeschafft. „Aber wir sind im 21. Jahrhundert angekommen“, so David Burkhard, Fachhelfer im Zugtrupp.

Aber auch gelbe Ölkreide wird gebraucht - um auf dem Boden aufzuzeichnen, wo wer nun arbeiten, Material lagern soll. Denn wenn jetzt gleich viele Helfer mit schweren Fahrzeugen eintreffen, soll an solch einer Unglücksstelle nicht noch mehr Chaos ausbrechen, als es ohnehin gibt. 28 Männer und Frauen, alles Ehrenamtliche, mit sechs Fahrzeugen rollen nacheinander an.

Leuchtballons gesetzt

Schnell wird überall gesägt, gebohrt, gehämmert, geschraubt. Das THW-Einsatzgerüstsystem, ein großes Sortiment an Stahlrohren, Verbindungsstücken, Hölzern und Ankern, hilft die - vermeintlich - einsturzgefährdete Decke zu stabilisieren. Auch ein dicker Holzverbau wird errichtet. „Beide Systeme sollen geübt werden“, erläutert Richard Mücke vom Ortsverbands-Stab.

Zuvor hilft das Kernbohrgerät, das etwa vier Mal soviel Leistung wie eine herkömmliche Bohrmaschine hat, zwölf Zentimeter dicke Löcher in die Wände und so erste Zugänge zu den „Verschütteten“ zu schaffen.

Aber weil die tatsächliche Rettung aus dem Gebäude sich hinzieht, weil das erst stabilisiert werden muss, und längst die Dämmerung einsetzt, rückt die Fachgruppe Beleuchtung an. Ihre Mitglieder postieren Strahler und sogenannte Powermoos, also blendfreie Leuchtballons. Schließlich ist es mitten in der Nacht, als Benjamin Wenker das Einsatzende meldet: 23.30 Uhr. Dann gibt es für alle Ehrenamtlichen noch Wurstsalat. „Viele kamen schließlich direkt von der Arbeit“, betont er. Erst um 0.12 Uhr, nach der Nachbesprechung, ist offiziell Dienstende. (pwr)

© Mannheimer Morgen, Donnerstag, 02.05.2019


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